Gedenkakt der Stadt Baden anlässlich 80 Jahre Novemberpogrome

Am 7.11.2018 lud die Stadt Baden zum Gedenken an die Novemberpogrome des Jahres 1938 ins Stadttheater Baden. Neben zahlreichen interessanten und teils sehr emotionalen Vorträgen verschiedenster Redner, unter anderem MMag. Elie Rosen, Univ.Prof.Dr. Bertrand Perz uvm., wurde auch Hannah Oppolzer, die im letzten Schuljahr in unserem Haus die Reifeprüfung ablegte, gebeten, ihre tiefgründigen Gedanken zu diesem Gedenken niederzuschreiben und bei diesem Anlass vorzutragen. Die junge Poetin und Schriftstellerin rührte die Anwesenden mit ihrem Vortrag zutiefst, da sie mit ihren gerade einmal 18 Jahren einen außergewöhnlich emotionalen und berührenden Text vorstellte. Wir als Schulgemeinschaft sind sehr stolz darauf, dass Hannah bei diesem Gedenken mitwirkte und ihre Gedanken zu diesem Thema teilte.

Gedenkakt der Stadt Baden anlässlich 80 Jahre Novemberpogrome

Text von Hannah Oppolzer
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Ich bin verwurzelt mit dem Boden, auf dem ich stehe.

Und ich weiß nicht, was ich jetzt sagen soll, aber vielleicht geht es genau darum: Um diese Sprachlosigkeit. Und darum, was jeden Menschen mit dem Ort verbindet, an dem er aufgewachsen ist oder an dem er lebt.

Baden.

Es ist, als würden Vergangenheit und Gegenwart miteinander verschmelzen. Meine Schritte auf jenem Boden, von dem vor 80 Jahren noch Menschen grundlos vertrieben wurden. Meine Worte in jener Luft, die damals noch von Schreien und Angst zerrissen war. Und ich kann nicht empfinden, was sie empfunden haben, als man ihnen die Heimat wegnahm. Als man ihre Wurzeln zerschnitt und sie vertrieben hat, aus dem Ort, der ihr Zuhause war.

Wer hat das Recht, jemandem die Heimat wegzunehmen?

Ich habe das Gefühl, die Bahnen der Zeit zu durchbrechen, denn ich stehe hier in meiner Heimat, wo ich aufgewachsen bin, und sehe all die Menschen vor mir, die genauso waren wie ich, die sich geborgen gefühlt haben an diesem Ort und die hier gelebt haben, bis ihr Leben plötzlich nichts mehr wert zu sein schien. Ich kannte diese Menschen nicht. Ich kenne nicht einmal ihre Namen. Aber ich denke, sie waren genauso wie wir. Bis ihnen die Zukunft geraubt wurde und ihre Vergangenheit ausgelöscht. 

Wer hat das Recht, jemandem die Zukunft zu stehlen?

Was bleibt an einem Ort zurück, aus dem so viele Menschen vertrieben wurden? Welche Erinnerungen, welche Geschichten? Und wer wird sie aufbewahren, wer wird sie erzählen?

Wer hat das Recht, jemandem das Privileg zu verwehren, eines natürlichen Todes zu sterben?

Denn bei ihnen hat der Tod all seine Natürlichkeit verloren. Sie sind Opfer einer Zeit geworden, die Leben wie Lebensmittel abgewogen hat – zur falschen Zeit am falschen Ort,   die falsche Religion, die falsche Nationalität.

Wir sind es gewohnt alles zu kategorisieren. Wir haben Vorstellungen von gut und schlecht, richtig und falsch. Aber wir müssen verhindern, dass Menschen selbst dieser Wertung unterzogen werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass wir Leben gegen Leben abwiegen, und wir müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass wir nicht alles tun dürfen, was wir können, und dass wir noch lange nicht das Recht haben, Macht über andere auszuüben, nur weil wir die Mittel dazu besitzen.

Ich bin verwurzelt mit dem Boden, auf dem ich stehe.

Und ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, vertrieben zu werden, entwurzelt zu werden. Wenn die eigene Heimat plötzlich zum Feind wird und man kein Mensch mehr ist, sondern falsch. 

Und vielleicht ist es das, was sie an diesem Ort zurückgelassen haben: Diese winzigen Impulse der Erinnerung, die überall erzittern und niemals damit aufhören werden. Sie schwingen in ihrem eigenen Rhythmus, einer ohrenbetäubend stillen Dissonanz.

Hier in Baden.

Es gibt so viele Worte, die man jetzt noch aussprechen könnte. So viele Sätze und Gedanken, die ausformuliert werden wollen. Aber vielleicht ist es manchmal einfach am besten, sich die eigene Sprachlosigkeit einzugestehen.

Und vielleicht müssen wir heute gedenken, weil damals zu wenig gedacht wurde.

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